Marketing Report
Wie Clemens Bauer und Isabel Morgen das Rewe-Marketing neu erfinden

Wie Clemens Bauer und Isabel Morgen das Rewe-Marketing neu erfinden

Das hat Konsequenzen für den Mix der Mediagattungen, aber auch für die Gestaltung der Agentur-Beziehungen. In den vergangenen Monaten hat Rewe vor allem mit seinem geplanten Abschied von der Prospektwerbung gemacht. Doch die digitale Transformation verändert alle Aspekte des Rewe-Marketings. Im Exklusiv-Intervie mit HORIZONT verraten Bauer und Isabel Morgen, weshalb der Innovatonsdruck im Marketing weiter steigt und warum Big Ideas für Kreativagenturen nicht mehr ausreichen.

Rewe dominierte in den letzten Monaten die Schlagzeilen mit der Nachricht, dass das Unternehmen aus der Prospektwerbung aussteigen will. Mit welchen neuen Formaten wollen Sie die Werbewirkung, die damit verloren geht, kompensieren?
 
Clemens Bauer:Natürlich ist der Verzicht auf den gedruckten Handzettel auch ein Motor für die Digitalisierung. Denn das gesamte Budget, was wir dort bisher investiert haben, verteilen wir natürlich in andere Medienkanäle. Und hier spielt auch der Creative Hub eine zentrale Rolle. Denn hier geht es nicht nur einfach darum, Werbeinhalte zu produzieren. Der Creative Hub soll auch neuen personalisierbaren Content und Formate für unsere digitalen Kanäle entwickeln.

Dass Sie dafür eine Strategie haben, will ich gar nicht bezweifeln. Aber ist sie auch das aktuelle Risiko wert?
 
Bauer: Das ist eine Diskussion, die wir in den vergangenen Monaten sehr intensiv geführt haben: Kann man in einer preisgetriebenen Zeit, in der die Menschen wirklich auf ihr Geld achten müssen, ein etabliertes Medium wie den Handzettel einfach abschaffen? Und diese Frage haben wir in vier Regionen ausführlich getestet. Und dabei hat sich klar gezeigt, dass der Handzettel für uns keinen relevanten Effekt mehr auf das Geschäft hat. Alternative Medien in Kombination mit digitalen Medien können eine bessere Preiswahrnehmung erzeugen als der gedruckte Handzettel.

Was hat sich denn da in der Werbelandschaft verändert? Denn auch Rewe hat sich mal auf die gedruckte Angebotskommunikation verlassen.

Bauer: Wir erfinden hier keinen komplett neuen Aktionsprozess in unserer Kommunikation. Wir etablieren nur eine neue Gewichtung, indem wir manche etablierten Kanäle stärken und dazu neue digitale Kanäle addieren. Und der Handzettel ist ein Medium, das in der Vergangenheit sehr gut funktioniert hat. Am Ende hatte sich aber die Logik etabliert: Wenn man ein Produkt in den Handzettel packt, dann verkauft es sich automatisch. Aber es ist nur ein Medium im Aktionsprozess unter vielen. Heute wirkt der Handzettel im Budget wie ein Monolith, der sehr viel Geld verschlingt. Wenn man diesen Monolith auflöst und auf kleine Schnellboote setzt, kann man spezifische Marktumfelder viel effizienter und kontextrelevanter erschließen.
 
Funktioniert das auch über alle Zielgruppen? Oder nehmen sie bei weniger digitalaffinen älteren Zielgruppen auch Reichweitenverluste in Kauf?
 
Bauer: Also ich bin jetzt gerade 44 geworden und wenn ich in meinem Bekanntenkreis frage, wer den Handzettel noch liest, gibt es fast niemanden mehr. Natürlich erreichen wir mit digitalen Produktinformationen in der Smartphone-App nicht mehr die 80-plus-Jährigen. Aber wir bieten ja auch unseren Handzettel auf Whatsapp. Das ist ein digitaler Kanal, mit dem man mittlerweile auch in den ältesten Zielgruppen viele Menschen erreicht.
Isabel Morgen: Ich glaube auch, dass die zwei Jahre Corona in den älteren Generationen noch einmal ein Umdenken bewirkt haben. Das Scannen von QR-Codes, online Testtermine vereinbaren, das ist mittlerweile Teil des Alltags geworden.

Die digitale Akzeptanz bei den Kunden wächst also. Wie sieht es denn bei der Kreativität in der Kommunikation aus? Entwickeln Sie schon innovative digitale Konzepte, um die Kunden besser mit Rewe-Angeboten zu erreichen?

Morgen:
 Im Creative Hub liegt unser Schwerpunkt auf den Bereichen Atelier, also Creative Ideation und Content Factory (Produktion und Adaption mit Scale), aber wir sind auch Teil der übergreifenden Marketing-Tech-Landschaft-Entwicklung. Und da arbeiten wir bereichsübergreifend mit den Kollegen, um diese Infrastruktur bei Themen wie Automatisierung und Aussteuerung von relevantem Content mithilfe des Single-Customer-View auszubauen. Aber natürlich schauen wir dabei auch immer auf die Optimierung unserer digitalen Formate. Der digitale Prospekt per Whatsapp wird sicher nicht unser letztes Wort bleiben.

Bauer: Innovationen liefern ja durchaus auch die Partner auf der Medienseite. Zum Beispiel passiert gerade einiges mit Carousel-Ads und Personalisierung bei Facebook, das uns in unserer Mediastrategie weiterhilft. Wir müssen also nicht alles selbst entwickeln. Aber hinter allen unseren Innovationen steht immer die zentrale Frage, wie man am besten die First-Party-Daten einsammelt und anschließend für das Marketing operationalisiert.

Am Ende sind Sie vor allem dem wirtschaftlichen Erfolg Ihrer Kaufleute verpflichtet. Was machen Sie, wenn sich der gedruckte Prospekt im Wettbewerb als wichtiger erweist als gedacht?

Bauer:
 Wir haben das intensiv getestet, wir haben es ausführlich mit unseren Kaufleuten diskutiert und tatsächlich stehen alle entschlossen hinter dieser Entscheidung. Natürlich ist dieser Wechsel ein Prozess, der noch längere Zeit zu Diskussionen innerhalb der Organisation führen wird. Aber wir werden in den kommenden Monaten auch den letzten Zweiflern zeigen, dass unsere neue Kommunikationsstrategie auch die richtigen Ergebnisse liefert.

Morgen: Ich habe schon die ersten Anfragen der Kaufleute zu Alternativlösungen. Da sind wir jetzt natürlich auch in der Bringschuld, aus der Zentrale heraus die Kaufleute zu unterstützen. Aber wir haben genug Lösungen im Portfolio, um den richtigen Content beisteuern zu können. Und ich glaube, dass die Kaufleute mit ihrem Pioniergeist grundsätzlich hinter dem Strategiewechsel stehen.
 
Die Digitalisierung der Marketingkommunikation wäre ja nicht denkbar ohne die Digitalisierung der Marketingorganisation. Sie haben hier mit dem Creative Hub unter Frau Morgen noch einmal eine eigene Produktions- und Entwicklungsabteilung gegründet. Was für neue Möglichkeiten gibt Ihnen das im Marketingalltag?

Bauer:
 Der Creative Hub ist jetzt keine vom Rest des Marketings losgelöste Abteilung, sondern die formelle Klammer für die Menschen, die die Kreation für die klassischen und digitalen Kanäle machen. Aber am Ende ist entscheidend, wie die Kollegen zusammenarbeiten. Und das ist immer crossfunktional. Zum Beispiel haben wir Fokusgruppen zu Themen wie Umwelt, wo die aktuelle „Umdenkbar“-Kampagne betreut wird. Und da sitzen dann alle Betroffenen zusammen – von den Mediaexperten über die Kreativen bis hin zu den Kategorieverantwortlichen. Die Aufbauorganisation darüber ist da erst einmal weniger wichtig.

Und warum haben Sie dann überhaupt die Kreation in einem eigenen Bereich gebündelt, wenn übergeordnete Organisation nicht so wichtig ist?

Bauer:
 Wenn man in einer Marketingorganisation heterogene Bereiche wie Klassik und Digital zusammenführt, dann kommt man zunächst zu einer Arbeitskultur, in der jeder Bereich mit seinen eigenen Konzepten und Dienstleistern arbeitet. Das Prinzip „Lasst 1000 Blumen blühen“ führt vielleicht zu einer bunten Blumenwiese im Marketing, ist aber nicht sonderlich effizient. Und so groß ist unser Marketingbudget dann auch wieder nicht, dass wir uns diese Reibungsverluste zwischen den unterschiedlichen Kommunikationskanälen leisten wollen. Das haben wir korrigiert, indem wir die Kreation über die verschiedenen Teams hinweg zusammengefasst haben. Und eine zentrale Organisation erleichtert uns auch eine schnelle Umsetzung von neuen Learnings im Rahmen unseres Transformationsprozesses.

Zu dieser gebündelten Kreation gehört ja auch Ihre neue Leitagentur Saatchi & Saatchi, mit der Sie laut Presseerklärung zum Pitch „eine völlig neue Form der Handelskommunikation“ entwickeln wollen. Wie sieht denn da die Arbeitsteilung der Agentur mit dem Creative Hub im Tagesgeschäft aus?

Morgen:
 Wenn man eine Inhouse-Kreation hat, ist es wichtig, dass man mit anderen Kreativen kollaboriert. In einem klassischen Kunden-Agentur-Modell ist es so, dass die Agentur ein Briefing bekommt, dazu eine Big Idea präsentiert, diese dann anschließend noch einmal ein paar Wochen verfeinert und dann wird produziert. Das läuft bei uns komplett anders. Bei uns kann man am Ende gar nicht mehr genau sagen, wer die Idee ursprünglich gehabt und wer sie ausgearbeitet hat. Saatchi ist Teil des Creative Hubs, und wir arbeiten als ein hybrides Team. Im Creative Hub haben wir wie schon erwähnt unterschiedliche Kompetenzzentren. Nicht jeder der rund 80 Mitarbeiter ist für Big Ideas verantwortlich. Da gibt es auch fleißige Hände, die in der Content Factory die nötige Masse produzieren, damit wir die unterschiedlichen Kanäle mit individualisierten Formaten bespielen können. Das ist genauso wichtig, wie am Anfang die Idee zu haben. Denn entlang der gesamten Customer Journey wollen wir über alle Touchpoints konsistenten Content ausspielen. Und das ermöglicht uns nun im Marketing intern das Creative Hub als zentrale Schnittstelle.

Wie identifiziert man denn bei so viel Integration der Partner am Ende dann noch die konkret erbrachten Agentur-Leistungen, für die der Werbekunde Rewe anschließend zahlen muss?

Bauer:
 Man einigt sich mit der Agentur auf einen Preis und vertraut, dass die erbrachte Leistung diesen Preis auch wert sein wird. Und da ist es mir auch komplett egal, ob mir die Agenturen genügend Big Ideas entwickeln oder die ersten Impulse aus der eigenen Organisation kommen. In den regelmäßigen Pulse-Meetings, bei denen nicht nur Saatchi, sondern alle beteiligten Agenturen zusammen mit dem Marketing an einem Tisch sitzen, teilen wir alle Informationen zur Geschäftsentwicklung, um auf Augenhöhe zu diskutieren und Ideen zu entwickeln. Denn die ersten Ideen funktionieren meist gar nicht. Erst wenn man miteinander diskutiert und daran feilt, werden daraus tragfähige Marketingkonzepte. Diesen fruchtbaren partnerschaftlichen Prozess erreicht man mit einer externen Agentur nicht, wenn man sie vom Marketingteam getrennt hält.

Teil des neuen Agentur-Modells ist ja auch, dass Sie zusätzliche Partner bei Bedarf schnell andocken wollen. Ist das nicht ein verstecktes Misstrauensvotum gegen die Kompetenz Ihres neuen Agenturpartners Saatchi?

Bauer: Ich glaube, dass man bei manchen Themenfeldern offen bleiben muss. TikTok ist so ein spezieller Bereich, genauso wie Dynamic Advertising oder E-Sports. Dann diskutieren wir mit Saatchi gemeinsam, welche Kompetenzen sie einbringen und wo es aber auch sinnvoll sein kann, noch Spezialisten an Bord zu holen. Aber damit dieses Modell auch funktioniert, muss man erst einmal allen Partnern auch ein klares Commitment geben. Sonst ist da immer die Befürchtung, dass man als Agentur den Etat wieder verliert, weil man nicht alle Kommunikationsaufgaben selbst machen wollte.

Ist so eine Strategie nicht letztlich auch implizit eine Absage an die Grundidee der großen Network-Agenturen, die ihren Kunden alle Dienstleistungen unter einem Dach bieten wollten? Und welchen USP müssen Agenturen Ihrer Meinung nach heute bieten, um ein guter Partner im Marketing zu sein?

Morgen:
 Für mich wäre eine wichtige Frage, wie offen die Kollegen der im Lead stehenden Kreativagentur sind für die Zusammenarbeit mit anderen Experten. Saatchi im Speziellen hat ein sehr großes Netzwerk, das die Agentur auch nutzt, um uns ganzheitlich beraten zu können. Und das finde ich heute sehr wichtig, weil man als Agentur einfach nicht mehr nur in TV-Ideen denken kann. Das reicht einfach nicht. Und wenn man vielleicht digital stärker voranschreiten will, muss man seine Ideen sowieso ganz anders entwickeln. Und das ist am Ende unser Anspruch: Wir brauchen keine Agentur, die nur auf Big Ideas fokussiert ist, sondern einen Partner, der die Customer Journey wirklich ganzheitlich mit uns denkt.
 
 

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