Marketing Report
„Wir sind sehr weit gekommen“

„Wir sind sehr weit gekommen“

Sie hat mehr als 20 Jahre internationale Erfahrung in der klinischen Forschung, davon über 15 Jahre im Bereich von seltenen Krankheiten: Christiane Denzel, Head of Country Operations bei Alexion Pharma Deutschland, weiß nur zu gut, wie groß die Herausforderungen bei der Entwicklung von sogenannten Orphan Drugs sind. Doch es tut sich viel – auch seitens der pharmazeutischen Firmen.

Menschen mit seltenen Erkrankungen galten lange als „Waisen der Medizin“. Wie sieht das heute aus?

Christiane Denzel: Wir sind sehr weit gekommen. Die Anzahl der Medikamente bei seltenen Erkrankungen ist in den vergangenen 20 Jahren enorm gestiegen. Es sind rund 200 Orphan Drugs zugelassen worden – vor dem Jahr 2000 waren es nur 5. Dieser Anstieg ist sicherlich auch der seit 2000 geltenden Orphan Drug-Verordnung in der EU zuzuschreiben. Sie gibt der Europäischen Arzneimittel-Aufsichtsbehörde EMA unter anderem die Möglichkeit, Zulassungsgebühren teilweise zu senken oder ganz zu erlassen. Außerdem kann die EMA für ein bestimmtes Medikament auch Marktexklusivität ausgeben. 

Wie ist Ihr ganz persönlicher Eindruck?

Denzel: Vor allem bei 3 Punkten sehe ich große Fortschritte. Erstens: Die Ärzte, die Experten in den Studienzentren vor Ort, werden heute viel enger in den Entwicklungsprozess einbezogen. Wenn man mit der Entwicklung eines Orphan Drugs beginnt, weiß man relativ wenig. Wir sprechen ja von seltenen und sehr seltenen Erkrankungen. Man muss also versuchen, alle Informationen, die es irgendwie gibt, zu sammeln und zu diskutieren. Wir bei Alexion beziehen daher externe Expert:innen zum Beispiel über Advisory Boards, also beratende Gremien, in die Prüfplanentwicklung ein. 

Zweitens…

Denzel: …wird der Patient in den Mittelpunkt der Forschung gestellt. Patient:innen und Patientenvereinigungen werden früh einbezogen und um ihren Input gebeten. Da ist trotzdem noch Luft nach oben – gerade in Deutschland sind wir manchmal ein bisschen sehr vorsichtig, inwiefern wir Patient:innen einbeziehen. Aber ich sehe einen sehr positiven Trend. Es ist der Patient oder die Patientin, der bzw. die weiß, was relevante Verbesserungen sind und welche Aspekte besonders wichtig sind aus seiner bzw. ihrer Sicht. Vielleicht ist es die Tatsache, dass er oder sie sich wieder selbst die Haare kämmen kann. Dass man so etwas in Studienprotokolle einbaut, ist wichtig.

Und drittens?

Denzel: Drittens sehe ich, dass sich mittlerweile verschiedene pharmazeutische Unternehmen zusammen an einen Tisch setzen, wenn sie in der gleichen Indikation beschäftigt sind. Das darf und kann ausgebaut werden, aber es geht in die richtige Richtung. Das Ziel: für den jeweiligen Patienten oder die Patientin den größtmöglichen Datensatz zu konsolidieren. Denn Patienteninformationen sind häufig über unterschiedliche Datenerfassungssysteme verteilt. Und gerade bei seltenen Erkrankungen, bei denen Daten per definitionem selten sind, ist es extrem wichtig, dass man gemeinsam versucht, die Datensätze zusammenzuführen. 

Was gehört noch zu den typischen Herausforderungen der Orphan Drug-Entwicklung?

Denzel: Eine enorme Herausforderung ist es, die richtigen Studienzentren zu finden, die dann letztendlich die Patient:innen rekrutieren, die an einer Studie teilnehmen. Schließlich sind nur wenige Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen. Es kann zum Beispiel notwendig sein, dass man Patient:innen aus anderen Ländern nach Deutschland holt. Da ist die Zusammenarbeit mit den Patientenorganisationen und den Expert:innen vor Ort essenziell. 

Relevante Endpunkte – also Behandlungserfolge – zu definieren, ist bei relativ unbekannten seltenen Erkrankungen schwierig, da am Beginn der Entwicklung noch wenig über die Erkrankung selbst bekannt ist. Flexible Studiendesigns und enge Einbindung der Aufsichtsbehörden sind daher notwendig. 

Und das richtige Studiendesign zu finden ist auch nicht so einfach, denn der „gold standard“, die doppelblinde, Placebo-kontrollierte, randomisierte Studie, ist bei den oft schweren seltenen Erkrankungen nicht im Interesse der Patient:innen – auch hier ist die Diskussion mit den Aufsichtsbehörden extrem wichtig. 

Und was muss in den teilnehmenden Studienzentren organisiert werden?

Denzel: Beim sogenannten „CRO Model“ führt ein Auftragsforschungsinstitut einen Teil der Studie im Auftrag des Arzneimittelherstellers durch. Oft betrifft das die Zusammenarbeit mit den Studienzentren. Bei Alexion wollen wir nun aber den Weg des „Inhouse Model“ gehen. Das heißt: Wir stehen in direktem Kontakt mit den Zentren – es ist kein dritter Partner dazwischen. Unser eigenes Personal kennt das zu entwickelnde Präparat, das Unternehmen, die Prozesse und Strukturen – und kann daher auf Anfragen schneller reagieren. Wir erhoffen uns davon eine Beschleunigung der Prozesse – und dass letztlich die Medikamente schneller auf den Markt und zu den Patient:innen kommen. 

Beim Start einer klinischen Studie ist natürlich viel zu tun: Das fängt beim Set-up des Zentrums an, um es auf die Studie vorzubereiten. Wir stellen zum Beispiel sicher, dass alle benötigten regulatorischen und ethischen Genehmigungen vorliegen, alle Studiendokumente zur Verfügung stehen, dass die entsprechenden Personen Zugang zum Datenerfassungssystem haben. Wir weisen die Zentren in die Handhabung der Studienmedikation und in die Durchführung der Studienprozeduren ein. Und wir sind telefonisch verfügbar sowie vor Ort bei den Zentren und trainieren das Studienpersonal. Wir unterstützen die Zentren bei organisatorischen Aspekten: wie können Patient:innen anreisen, welche Transportmöglichkeiten können wir organisieren, in welchen Sprachen muss die Einverständniserklärung vorliegen und vieles mehr. Wenn die Studie läuft, geht es weiter: Wir sind verpflichtet, bei den Zentren regelmäßige sogenannte Monitoring-Besuche durchzuführen – diese dienen der Qualitätssicherung, und stellen sicher, dass die Studie nach Prüfplan durchgeführt wird. Und für Fragen stehen wir natürlich immer zur Verfügung.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie wird die Studienlandschaft in 5 oder 10 Jahren aussehen?

Denzel: Ich erhoffe mir, dass die Datenerhebung dann automatisch aus den elektronischen Patientenakten, die wir haben, erfolgt. Die Patientendaten müssen dann also für die Studie nicht mehr manuell in ein Datenerfassungssystem übertragen werden, sondern sie werden unter Beachtung von datenschutzrechtlichen Aspekten aus den elektronischen Patientenakten herausgezogen und kommen in ein System, in das auch alle anderen Studienparameter wie Laborresultate elektronisch eingespeist werden. Und auch für die Patient:innen wird es leichter: Die Einwilligungserklärung darf elektronisch unterschrieben werden, die Fragebögen, die sie ausfüllen, werden automatisch hochgeladen – und auf Knopfdruck stehen verschiedene Sprachversionen zur Verfügung. Außerdem denke ich, dass wir mehr und personell gut aufgestellte Expertenzentren in Deutschland haben werden, die komplexe Studienverfahren durchführen können mit Behandlungszentren, die sich in Wohnortnähe der Patient:innen befinden und ihnen damit die Studienteilnahme erleichtern. Oder wir machen es sogar remote: Telemedizin für klinische Studien, damit eine Teilnahme standortunabhängig möglich ist.

pharma-fakten.de

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